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Das "richtige" Motiv zum Bergsteigen

Wenn ich andere Menschen in den Bergen beobachte, insbesondere jene welche ich als Bergführer begleite, dann frage ich mich manchmal was deren Antrieb ist eine bestimmte Tour zu unternehmen.

Mir fallen hierzu folgende Möglichkeiten ein:


Der Ehrgeiz ein persönliches Ziel zu erreichen (einmal auf dem höchsten Berg der Alpen stehen…), der Ehrgeiz ein gemeinschaftliches Ziel zu erreichen (mit dem/der Partner:in durch eine schwere Route klettern), die Anerkennung Anderer für bestimmte Errungenschaften oder außergewöhnliche Erlebnisse („Likes“, Standing bei Familie/Freunde/Arbeitskolleg:Innen…), persönliche Grenzen ausloten, Abschalten und den Alltag hinter sich lassen, reines Fitnesstraining, Adrenalinsucht, aus Liebe zum/zur Partner:in (z.B.: Sie ist voll motiviert, er hat eigentlich keine Lust/Motivation…), aus Freude an der Bewegung, Meditation, Suche nach Ruhe und Einsamkeit, Abenteuerlust, Suche nach dem Flow-Erlebnis, Entfliehen aus der überversicherten Welt, um Geld zu verdienen (Bergführer:innen, Skilehrer:innen, Wanderführer:innen, Produkttester:innen, Profibergsteiger:innen, Markenbotschafter:innen,…), Trainingszwecke für größere Ziele, für die Gesundheit…


Wenn man diese Auflistung so durchliest, dann wird jede:r bergbegeisterte Leser:in unweigerlich zugeben müssen, dass man sich mit den einen mehr, mit den anderen weniger indentifizieren kann. Vielleicht gibt es sogar ein paar Motive, denen wir kritisch gegenüber stehen.


Natürlich frage ich die Leute häufig einfach direkt, jedoch ist die Antwort nicht immer zufriedenstellend. Manchmal wirkt sie unglaubwürdig und manchmal bilde ich mir ein, dass den Leuten die Antwort unangenehm ist. In seltenen Fällen wirkt es sogar so, als hätte die Person noch nie wirklich darüber nachgedacht.


Es stellt sich die Frage, warum mich das Thema überhaupt so sehr interessiert!?

Das hat im Wesentlichen zwei Gründe: Zum einen ist dieser Umstand sicherlich dem geschuldet, dass ich mich als Bergführer möglichst gut auf meine Gäste einstellen möchte. So macht es beispielsweise im Winter einen Unterschied, ob jemand einen bekannten/bestimmten Wunschgipfel erreichen möchte oder ob jemand einfach möglichst viel in super Schnee Skifahren will. Das eine schließt das andere nicht aus, jedoch kann ich mit Hilfe dieses Wissens genauer planen und den Fokus besser setzen. Zum anderen konnte ich nun schon einige Jahre lang die Entwicklung des Sommer- und Winterbergsteigens beobachten und frage mich, wie die Reise weitergeht. Maßgeblich für die Entwicklung sind meiner Ansicht nach die unterschiedlichen Motive und die daraus entstehenden Motivationen der Menschen. Ein Beispiel: Sinkt in den nächsten Jahren die Anzahl der Pistenskifahrer:innen weiter, weil das Erlebnis Skitour noch mehr an Beliebtheit gewinnt, dann werden mehr Tourenausrüstungen verkauft, Ausrüstung allgemein wird schneller und besser weiterentwickelt, mehr Unfälle im freien Gelände passieren, weniger Umsätze in Skigebieten werden generiert, Bergführer:innen im gesamten Alpenraum werden mehr Arbeit haben… Es findet also ein Wandel statt!


So, und jetzt kommt der Clou: Veränderungen im Bergsport haben meist zwei Seiten, eine positive und eine negative. Je nachdem auf welchen Seite ich mich als von der jeweiligen Veränderung betroffene Person befinde, schlägt das Pendel mehr in die eine oder in die andere Richtung aus. Das macht die Frage nach dem Antrieb der Menschen und die daraus resultierende Entwicklung unseres Sports so interessant!


Häufig entstehen hier Konflikte im Bereich Naturschutz, also im Grunde genommen Mensch gegen Natur. So ist zum Beispiel in den Augen Vieler eine weitere Erschließung und Bebauung der Alpenlandschaft nicht vereinbar mit einem nachhaltigen Schutzgedanken für Flora und Fauna. Selbst die weniger eindeutige Erschließung der Berge, beispielsweise durch Eiskletterer:innen, die auf der Suche nach Neuland sind, wird hier schon von manchen kritisch betrachtet.

Für die jeweiligen Interessensgruppen sind aber auch die im Zuge einer Entwicklung entstehenden zwischenmenschlichen Konflikte von Bedeutung. So führt zum Beispiel ein großer Andrang in den bayerischen Voralpen und daraus entstehende Staus, Parksünden auf Privatgrund, hoffnungslos überlaufene Wanderwege, mangelhaft oder übermäßig ausgerüstete bzw. unvorbereitete „Fremde“ usw. zu Unmut in der heimischen Bevölkerung. Vor allem bei denjenigen, welche nicht direkt vom Ausflugsverkehr profitieren.

Andererseits haben viele Bergregionen kaum etwas anderes als Einnahmequelle, was an dieser Stelle als durchaus positiver und für die Einheimischen teils überlebenswichtiger Effekt eines regen Alpentourismus hervorgehoben werden soll! Meist steigt dadurch die Lebensqualität aller Beteiligten...

Auch ich, als jemand der schlussendlich vom Tourismus lebt, gerate hier immer wieder in Konflikte. So zum Beispiel bei der Entwicklung am Mont Blanc. Es ist nur allzu verständlich, dass viele Menschen auf diesen Berg steigen möchten – schließlich stellt er in den Alpen ein relativ leicht zu erreichendes Superlativ dar. Für die Art und Weise, mit der ein großer Teil der Menschen dieses Ziel angeht, habe ich allerdings zuweilen wenig Verständnis. So habe ich es beispielsweise schon erlebt, dass jemand mit Leihsteigeisen und Leihpickel ankommt, keine Erfahrung mit Klettern hat, keinen einzigen Knoten beherrscht, unzureichende Kondition mitbringt und von permanenter Angst und Zweifeln vor der Unternehmung geplagt ist, aber dennoch auf Biegen und Brechen auf diesen Berg will! Wir als Bergführer:innen können viel leisten. Neben dem Zug am Seil als Aufstiegshilfe, können wir auch psychologisch bis zu einem gewissen Maß betreuen und somit persönliche Grenzerfahrungen in einem sicheren Rahmen möglich machen. Wenn dann aber auch noch das Wetter und die allgemeinen Bedingungen schlecht sind, dann stoßen wir hier eindeutig an ein Limit!

Häufig muss man dann abbrechen und frühzeitig umkehren, was nicht selten in einer bodenlosen Enttäuschung der Aspirant:innen endet.

Die Rücksichtslosigkeit und ein Stück weit auch die Respektlosigkeit vor dieser gewaltigen Natur und vor der eigenen Sicherheit und der Sicherheit anderer Menschen stellen mich hier oft vor ein Rätsel.

Welches Motiv liefert hier denn eigentlich den Antrieb und ist das rechtens so?


Warum möchten Menschen mit aller Härte ein Ziel erreichen, wo doch vielleicht zu viele Voraussetzungen dagegen sprechen? Es gibt einige solcher Beispiele und manchmal sage ich es frei heraus: z.B.: „Es könnte so viel besser laufen und du hättest so viel mehr Freude an der Unternehmung, wenn du besser trainiert wärst, besser akklimatisiert, mehr Übung hättest …“ Und: "Wenn du dir vielleicht vorher andere, leichtere Ziele aussuchst...Ziele mit einer gewissen Erfolgsgarantie..." An anderen Tagen denke ich ehrlich gesagt aber, Hopfen und Malz sind bei diesem Thema eh schon verloren, genehmige mir anschließend lieber selbst Hopfen und Malz und behalte die Gedanken für mich.


Das ist keine langfristig zufriedenstellende Lösung.


Diese Umstände sind bei weitem keine Einzelfälle und meiner Ansicht nach auf die gesamte Bandbreite des Bergsteigens übertragbar. Viele Leute schätzen sich und ihre Tourenpartner:innen oder die Verhältnisse falsch ein. Man kann ähnliche Szenarien vor allem auf Hochtouren, in Klettersteigen, auf Skitouren, in alpinen Kletterrouten, ja sogar in Klettergärten beobachten. Oft sehe ich auch Leute die Angst haben, die sich unwohl fühlen oder schlicht überfordert sind.


Und auch hier frage ich mich wieder, was motiviert diese Menschen?


Es ist schließlich ihre Freizeit, sollte man sich da nicht eine Beschäftigung suchen, die einem durchwegs Freude bereitet? Oder geht es wirklich darum sein Limit zu erkunden, sich zu fürchten und eine Grenzerfahrung zu erleben? Vielleicht denke ich da noch zu einfach…


Einen weiteren Reibungspunkt gibt es auch immer wieder im Bereich des leistungsorientierten Bergsteigens. Dies wird eher gesamtgesellschaftlich zum Thema und sowohl positiv, als auch negativ bewertet.

Positiv immer dann, wenn´s was zu staunen gibt: Ein neuer Speed-Rekord am Watzmann, eine gelungene Winterbesteigung des K2 oder die erste Free-Solo Begehung einer Route am El Capitan. „Faster, harder, bigger!“- Findet jeder geil, solange alles gut geht. Wenn allerdings mal etwas schief läuft und eventuell Menschen sterben, dann ist das Geschrei groß und es fallen Worte wie: „verantwortungslos“ und „irgendwann musste es ja passieren“. Da weiß es dann plötzlich jeder besser und es kommt auch oft die Frage auf, warum jemand sich so einem Risiko aussetzt.


Welche Motive treiben ihn oder sie dazu an?


Ich gehe zurück zum Ursprung der Fragestellung, nämlich zu mir selbst.

Es ist natürlich so, dass auch mich bestimmte Motive antreiben wenn ich in den Bergen unterwegs bin. Daraus generiert sich wiederum meine Motivation, sowie eine gewisse Einstellung und auch Vorstellung davon, wohin die Reise gehen sollte!

Als Bergführer stehe ich persönlich zwischen zwei Fronten:

Auf der wirtschaftlichen Seite bin ich angewiesen auf Menschen, die mit dem Bereich Bergsteigen wenig Erfahrung haben bzw. die Erfahrung haben, aber sich steigern wollen oder sich eine bestimmte Tour nicht alleine zutrauen. Das hat zur Folge, dass ich es für gut heiße wenn mehr Leute mehr Lust auf Klettern, Hochtouren, Skitouren, Freeriden etc. haben, gleichzeitig aber entweder nicht in der Lage sind diese Unternehmungen ohne kompetente Begleitung durchzuführen oder nicht die Zeit und Lust haben sich entsprechend vorzubereiten. Tja, und für meine Arbeit fahre ich dann auch mehrmals im Jahr mit dem Auto quer durch die Alpen, bzw. nutze ich sogar den Flugverkehr wenn das Ziel zu weit entfernt ist. Ich möchte Freude teilen und die Lust auf Erlebnisse in den Bergen steigern, dazu bediene ich mich der sozialen Medien.

Vorrangig beruflich motivierte Einstellungen und Handlungen also.


Auf der privaten, alpinistischen Seite suche ich andererseits die Einsamkeit und die Herausforderung an Orten welche man am liebsten für sich behält und mit Tourenpartner:innen deren Ausbildungsstand im Idealfall auf Augenhöhe ist. Manchmal möchte ich dabei meine eigenen Grenzen austesten, manchmal möchte ich mich nur auspowern und an wieder anderen Tagen möchte ich einfach entspannt zum Klettern gehen. Im Idealfall aber an ruhigen, menschenleeren Orten. Außerdem liegt mir der Umweltschutz am Herzen und ich versuche viel in den heimischen Bergen unterwegs zu sein, sammle Müll auf und gehe sorgsam mit der Natur um.


Wie man merkt, treiben mich also meist mehrere Motive an in die Berge zu gehen. So komme ich auf die Frage zurück, welches denn nun das „richtige“ Motiv zum Bergsteigen ist? Gibt’s es dieses überhaupt?


Oft sehe ich auch bei Anderen eher ein Konglomerat aus verschiedenen Antriebsrichtungen, irgendwie ja auch logisch! Beispielsweise kann es sein, dass jemand gewollt die Herausforderung und das Abenteuer am Berg sucht, gleichzeitig nach der Freiheit am Gipfel im Einklang mit der Natur strebt und im Anschluss Ruhm und Ehre für den Erfolg erntet. Alles nachvollziehbare treibende Kräfte.

Manchmal gibt es aber auch verzerrte Darstellungen von Leistungen, Verhältnissen und Wahrheiten. Dabei ist es sicherlich legitim die Hintergründe kritisch zu beleuchten.

Genauso wie ich allerdings erwarte, dass die Gesellschaft meine teils sehr verschiedenen Motive und Gründe in die Berge zu gehen akzeptiert, so muss ich doch auch entsprechende Toleranz gegenüber anderen Antrieben und Einstellungen bzw. den daraus resultierenden Entwicklungen aufbringen, oder!?


Das darf jedoch auf keinen Fall bedeuten, dass mir plötzlich alles was andere Menschen tun scheißegal ist. Es gibt gewisse Grundhaltungen, z.B. ethischer oder moralischer Natur, für die es sich definitiv immer lohnt einzustehen. Das macht uns schließlich zu einem Idividuum!

Meiner Ansicht nach ist vielmehr die Art und Weise entscheidend, wie wir mit Umständen umgehen, mit denen wir uns nicht direkt idenzifizieren können.


Als Bergführer habe ich eine Verantwortung – nicht nur für Leib und Leben, sondern auch als Botschafter eines bestimmten Gedankengutes. Und zwar eines Gedankengutes, welches ich selbst mitbestimmen kann! Durch meine bisherige persönliche Entwicklung und durch die dabei gesammelten Erfahrungen kristallisieren sich für mich hierbei ganz klare Ziele heraus:


- Respektvoller Umgang mit allen Mitmenschen, sowie mit der Natur

- Toleranz und Akzeptanz gegenüber anderen Motiven und Einstellungen

- Ehrlichkeit und Bescheidenheit

- Freude teilen und eine positive Einstellung verbreiten

- An der richtigen Stelle aufklären

- Kompromissfähig sein


Mit dem einzig richtigen Motiv zum Bergsteigen verhält es sich meiner Meinung nach genauso wie mit der einzig wahren Wahrheit – Beides existiert nicht!


Wenn mir etwas nicht passt, oder ich Dinge beobachte, die meiner Einstellung widersprechen, dann habe ich aus meiner Sicht zwei Möglichkeiten: Entweder ich entscheide, dass mich das nichts angeht, bin tolerant, akzeptiere und gehe Kompromisse ein. Oder ich entscheide, unter Berücksichtigung der genannten Ziele, mich einzumischen.

Wir haben es selbst in der Hand, wohin die Reise für uns, vor allem aber auch für die gesamte Bergsport-Szene geht.


Der Schlüssel zum Erfolg ist wie so oft die Kommunikation!

Freundlichkeit. Aufklären statt Anschnauzen. Erklären statt Belehren. Und Diskutieren mit einem offenen Ohr für die andere Meinung. Immer auf Augenhöhe und mit Respekt.

Weshalb wir Bergsteigen, wann und wie oft wir in die Berge gehen, wo wir hinfahren und wie wir Bergsport betreiben, das sind alles Fragen die wir uns vor allem aus folgendem Grund stellen können: Weil wir grundsätzlich im Besitz eines großen Guts sind, für das es sich immer lohnt aufzustehen - unserer individuellen Freiheit!


Meiner Meinung nach sollten wir gerade deshalb ab und zu unser Denken und Handeln hinterfragen!

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